Digitale Barrierefreiheit – viele Gesetze ein Ziel
Digitale Barrierefreiheit: Was Unternehmen jetzt wissen müssen
Hinweis: Dieser Beitrag bietet eine fachliche Einordnung der gesetzlichen Anforderungen zur Barrierefreiheit. Er stellt keine Rechtsberatung dar und ersetzt diese auch nicht.

Warum Barrierefreiheit mehr ist als Pflicht
Barrierefreiheit ist heute weit mehr als ein gesellschaftliches Ziel. Sie ist gesetzlich verankert und entwickelt sich zunehmend zu einem Qualitätsmerkmal digitaler Angebote. Wer Webseiten, Apps oder digitale Services bereitstellt, muss dafür sorgen, dass diese auch für Menschen mit Einschränkungen zugänglich sind.
Das betrifft längst nicht mehr nur den öffentlichen Sektor: Auch private Unternehmen rücken in den Fokus. In Deutschland greifen dabei mehrere Gesetze und Verordnungen ineinander. Sie regeln, für wen Barrierefreiheit verpflichtend ist, welche Standards erfüllt sein müssen – und ab wann.
Wichtig dabei: Es gibt Ausnahmen. Kleine Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitenden oder unter zwei Millionen Euro Jahresumsatz sind vom neuen Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) nicht betroffen. Auch branchenspezifische Sonderregelungen können zur Anwendung kommen.
Dieser Beitrag gibt Ihnen einen kompakten Überblick über die wichtigsten gesetzlichen Grundlagen, ihre Zusammenhänge und die anstehenden Änderungen ab 2025.
Rechtlicher Rahmen in Deutschland:
Das große Ganze
Die gesetzlichen Vorgaben zur Barrierefreiheit bauen auf mehreren Ebenen auf. Im Zentrum stehen nationale Regelwerke wie das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) und die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV). Diese gelten primär für den öffentlichen Sektor und setzen europäische Vorgaben in deutsches Recht um.
Ergänzt wird dieser Rahmen durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), das ab Juni 2025 auch private Unternehmen in die Pflicht nimmt.
Auf europäischer Ebene sorgen Richtlinien wie die EU-Richtlinie 2016/2102 und die Norm EN 301 549 für einheitliche Standards. Sie machen Barrierefreiheit vergleichbar, messbar – und rechtlich prüfbar. Zusammengenommen entsteht so ein System, das klar definiert, wer was umsetzen muss – und zu welchem Zeitpunkt.
Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) – Die gesetzliche Grundlage auf Bundesebene
Das BGG ist die zentrale gesetzliche Basis für Barrierefreiheit in Deutschland. Es gilt seit 2002 und richtet sich an Behörden und öffentliche Stellen des Bundes. Ziel ist es, Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen zu vermeiden und gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen – auch im digitalen Raum.
Bundesbehörden sind dadurch verpflichtet, ihre Internetseiten, Apps und Verwaltungsprozesse barrierefrei zu gestalten. Das BGG bildet auch die Grundlage für weiterführende Regelungen wie die BITV 2.0. Auf Ebene der Bundesländer gibt es vergleichbare Gleichstellungsgesetze, die sich inhaltlich meist am BGG orientieren.
BITV 2.0 – Digitale Barrierefreiheit in der Praxis
Die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) konkretisiert die Anforderungen an digitale Angebote. Sie gilt für Bundesbehörden und weitere Einrichtungen, die im öffentlichen Auftrag handeln. Technisch basiert sie auf den internationalen Richtlinien der WCAG 2.1 (Web Content Accessibility Guidelines), Level AA.
Betroffen sind Websites, mobile Anwendungen, PDF-Dokumente sowie automatisierte Verfahren – etwa Antragsprozesse. Neue Inhalte müssen direkt barrierefrei sein, bestehende Angebote schrittweise angepasst werden. Zudem sind eine Barrierefreiheitserklärung sowie eine Rückmeldemöglichkeit für Nutzende Pflicht.
Auch wenn die BITV 2.0 für private Unternehmen nicht unmittelbar gilt, bietet sie eine verlässliche Orientierung. Und: Mit Inkrafttreten des BFSG wird sie künftig auch dort zunehmend relevant.
EU-Richtlinie 2016/2102
Einheitliche Standards für den öffentlichen Sektor
Diese EU-Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, digitale Verwaltungsangebote barrierefrei zugänglich zu machen – also Websites und mobile Anwendungen öffentlicher Stellen. Ziel ist ein europaweit einheitlicher Standard, um allen Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zu digitalen Angeboten zu ermöglichen.
In Deutschland wurde die Richtlinie über das BGG und die BITV 2.0 umgesetzt. Neben technischen Vorgaben schreibt sie auch organisatorische Maßnahmen vor – wie eine Barrierefreiheitserklärung und ein Meldeverfahren für Barrieren. Die technische Grundlage bildet die Norm EN 301 549.
Auch für private Unternehmen ist die Richtlinie indirekt relevant – sie diente als Vorlage für den European Accessibility Act und damit für das BFSG.
Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG)
Neue Pflichten für Unternehmen ab 2025
Mit dem BFSG wird Barrierefreiheit erstmals auch für private Unternehmen verpflichtend. Es setzt die EU-Richtlinie 2019/882 (European Accessibility Act) in deutsches Recht um und tritt am 28. Juni 2025 in Kraft.
Ziel ist es, dass bestimmte Produkte und Dienstleistungen auch für Menschen mit Einschränkungen barrierefrei nutzbar sind – nicht nur im öffentlichen, sondern auch im kommerziellen Bereich.
Betroffen sind unter anderem:
- Webshops
- mobile Apps
- E-Book-Reader
- Geldautomaten
- Selbstbedienungsterminals
- Telekommunikations- und Bankdienstleistungen
Das Gesetz gilt für Unternehmen mit mehr als zehn Mitarbeitenden oder einem Jahresumsatz über zwei Millionen Euro.
Das BFSG verweist in weiten Teilen direkt auf die Originalformulierungen der EU-Richtlinie. Viele Paragrafen enthalten daher keinen eigenen Gesetzestext, sondern lediglich den Hinweis auf die entsprechende Passage im europäischen Originaldokument. „Wortlaut der Vorschrift: auf eine Darstellung wird zwecks Übersichtlichkeit verzichtet“.
Für kleinere Unternehmen gibt es Ausnahmen – etwa bei nachweislich unverhältnismäßigem Aufwand. Doch unabhängig von der rechtlichen Verpflichtung: Barrierefreiheit wird zunehmend zum Standard – auch in Ausschreibungen, Partnerschaften und im Wettbewerb um Kundinnen und Kunden.
Barrierefreiheitsstärkungsverordnung (BFSGV)
Wie die Anforderungen umgesetzt werden sollen
Die BFSGV konkretisiert, wie die Vorgaben des BFSG in der Praxis umzusetzen sind. Sie enthält technische und organisatorische Anforderungen, legt Standards fest – und regelt, wie die Einhaltung überwacht wird.
Für digitale Inhalte gelten insbesondere die WCAG 2.1 (Level AA). Bei Produkten und Benutzerschnittstellen kommt zusätzlich die europäische Norm EN 301 549 zum Tragen. Unternehmen finden in der Verordnung damit eine klare Orientierung, welche Standards sie erfüllen müssen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Marktüberwachung: Unternehmen sind verpflichtet, zu dokumentieren, wie sie die Barrierefreiheitsanforderungen umsetzen. Die zuständigen Behörden können diese Dokumentation im Rahmen von Stichproben oder Beschwerden prüfen. Bei Verstößen drohen Bußgelder oder Vertriebsverbote.
Auch Übergangsfristen und mögliche Ausnahmen sind in der BFSGV geregelt – etwa dann, wenn die Umsetzung einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten würde.
Kurz gesagt: Die BFSGV sorgt für Klarheit und macht Barrierefreiheit messbar – ein wichtiger Schritt für alle, die ihre digitalen Angebote rechtssicher und zukunftsfähig gestalten wollen.
Landesgesetze – Ergänzungen auf regionaler Ebene
Neben den bundesweiten Regelungen existieren Landesgleichstellungsgesetze, die für Einrichtungen auf Landes- und Kommunalebene gelten – also etwa Schulen, Hochschulen oder Ämter. Inhaltlich lehnen sie sich meist an das BGG und die BITV an, können aber in Details – etwa bei Fristen oder Zuständigkeiten – abweichen.
Fazit: Barrierefreiheit als gemeinsame Verantwortung
Mit dem BFSG und der BFSGV wird erstmals ein verbindlicher Rahmen geschaffen, um digitale Barrierefreiheit auch im privaten Sektor umzusetzen. Für viele Unternehmen bedeutet das: umdenken, prüfen, anpassen – und das möglichst rechtzeitig. Die gesetzlichen Vorgaben sind dabei ein wichtiger Schritt in Richtung digitaler Teilhabe.
Aus meiner Sicht ist das Gesetz ein guter Anfang – und kein Instrument, um Abmahnwellen auszulösen. Leider wird das Wettbewerbsrecht im gleichen Kontext mit aufgeführt, was theoretisch solche Verfahren ermöglichen könnte. Ich halte diesen Weg jedoch nicht für zielführend.